Home
Eigler
Neuwöhner
Poser
Winner
Kino
Fernsehen
Serie
Kontakt

plotpower

"Zwischen Tradition und Selbstbehauptung"

Gespräch mit Martin Eigler über den „Tatort – Schatten der Angst“


Wie schon den Lena Odenthal-„Tatort“ „Gefährliches Schweigen“ haben Sie diesen „Tatort“ gemeinsam mit Annette Bassfeld-Schepers auch geschrieben. Der Impuls zu der Geschichte kam von Ulrike Folkerts?
Ja, in einer Talkshow über „Frauen in Gefahr“ sagte sie, dass das ein spannendes Thema für einen „Tatort“ wäre und ein extrem Wichtiges noch dazu. Da wir das auch so sehen, haben wir mit Ulrike gesprochen und einen Vorschlag erarbeitet.

Ausgangspunkt von „Schatten der Angst“ ist nicht der Mord an einer jungen Frau, sondern eine Bedrohungssituation, die auf einen Mord zuzulaufen scheint. Es geht um Zwangsheirat, um einen speziellen Ehrbegriff, nicht in erster Linie um den so genannten „Ehrenmord“?
Der Film versucht, das Umfeld mit zu berücksichtigen und zu überlegen, wie es zu solchen Verbrechen kommen kann. Da wir die Not der Frau erlebbar machen, ist man natürlich näher am Problem, als wenn ein solcher Mord bereits stattgefunden hat. Ich denke übrigens, man sollte eher Verbrechen im Namen der Ehre sagen. Das Wort „Ehrenmord“ finde ich sehr problematisch.

Gab es reale Vorbilder?
Unser Fall setzte sich aus vielen Geschichten zusammen, die wir gehört und gelesen haben oder die uns Menschen aus unserem Umfeld erzählten, die Kontakt zu jungen Frauen haben, auf die von der Familie Druck zur Heirat ausgeübt wird.

Der Druck, der vom Vater ausgeht, beeinflusst alle Familienmitglieder, doch er ist kein fanatischer Patriarch, und die Kinder denken und reagieren auf verschiedene Weise. War bei diesem Thema die Frage des richtigen Maßes die entscheidende?
Das richtige Maß war bei der Entwicklung des Drehbuchs, aber auch später bei der Inszenierung auf jeden Fall ein ganz wichtiger Punkt. Die Brüche und unterschiedlichen Einschätzungen innerhalb einer Familie können enorm sein. Es wäre falsch zu sagen, es wären alle konform, oder es ist einfach der Patriarch, der seine Vorstellungen durchsetzt, sondern es ist ein sehr komplexes Gebilde, bei dem Traditionen und familiäre Geschichte eine Rolle spielen. Und das kann man eben nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Uns ging es dabei um Differenzierung.

Als Zuschauer kann man bis zu einem gewissen Punkt folgen, wenn man akzeptiert, dass bestimmte Wertvorstellungen herrschen. Wenn aber der Mord an einem Familienangehörigen zur geradezu zwangsläufigen Handlungsalternative wird, schreckt man zurück.
Das ist die große Schwierigkeit, weil diese Übergänge ja fließend sind. Einerseits bereichert die Vielfalt kultureller, ethnischer oder religiöser Erfahrungen unsere Gesellschaft, und dass andere Wertvorstellungen auch zu Konflikten führen können, gehört auch dazu. Andererseits kann es nicht sein, das Verstöße gegen die Menschenrechte, wie z. B. die Missachtung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, mit einem besonderen familiären, kulturellen oder religiösen Hintergrund gerechtfertigt werden. Für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft ist es ganz wichtig, dass das Grundgesetz die von allen akzeptierte Basis ist, und dass sich alle kulturellen Erfahrungen oder andere familiäre Traditionen, Religionen, dem unterzuordnen haben. Da kann es keine Relativierungen aufgrund irgendwelcher anderer Erfahrungen geben, das sollte man immer im Blick behalten.

Wie es dann letztlich dazu kommt, dass sich plötzlich eine solche Gewalttätigkeit im Namen der „Ehre“ herauskristallisiert, das ist meiner Meinung nach ein Bereich, der immer ein wenig im Ungefähren bleibt, weil die Logik kaum zu vermitteln ist. Man kann feststellen, dass es diesen Zwang gibt, den Druck, die „Ehre“ der Familie selbst mit Gewalt zu verteidigen. Woraus dieser Ehrbegriff aber besteht, bleibt diffus. Ich habe das mit den Schauspielern besprochen, die zum Teil ihre eigenen Erfahrungen mitbrachten, und es war extrem spannend zu sehen, welche Versatzstücke sie selbst kennengelernt haben, welche nicht und was sie als völlig absurd einschätzen. Was in Einzelfällen zu dieser Gewalttätigkeit führen kann, setzt sich aus dem Zusammenspiel von vielen Faktoren zusammen. Ich habe versucht, das in der Inszenierung klarzumachen. Das ist aber ein Vorgang, der nicht so einfach zu beschreiben und zu erklären ist wie Eifersucht oder Habgier. Man kommt in einen Bereich, der wirklich schwer zu fassen ist, und wo wir auch in der Drehbucharbeit gemerkt haben, es ist besser, es einzukreisen und sich dadurch zu nähern. Insofern bleiben die Figuren mit einem Rest Geheimnis oder Fragen stehen.

Es war wichtig, mit Schauspielern zu arbeiten, die solche Erfahrungen einbringen?
Ja, natürlich. Aber die Schauspieler habe ich nicht unter diesem Gesichtspunkt ausgewählt. Dass die Darsteller unterschiedliche Geschichten beisteuern konnten, stellte sich erst heraus, als ich mit ihnen das Drehbuch besprach. Vielen, die in zwei Kulturen aufgewachsen sind, stehen die Brüche viel klarer und deutlicher vor Augen als uns, wenn wir von außen auf „die türkische“ oder „die muslimische“ Community schauen (die ja so nicht existieren). Dann besteht immer die Gefahr zu vereinheitlichen.

Die von Sesede Terziyan dargestellte Derya wirkt älter, reifer als Peter, den David Rott spielt. Unabhängig vom realen Alter spürt man daran, dass es bei ihr um Grundlegenderes geht als bei ihm. Er kann ihren Konflikt nicht bis ins Letzte verstehen.
Nein. Auch wenn er sich in dieser Beziehung mit der Problematik sicherlich beschäftigt hat, wird er letztlich, wie wir alle, wenn wir nicht innerhalb einer solchen Familiensituation aufgewachsen sind, nicht den kompletten Ernst begreifen. Sie wiederum hat ja eine innere und eine äußere Sicht auf die Familie und auch eine Verpflichtung. Sie sieht die Verantwortung für ihren Vater und sein Ansehen, und ich glaube, dieses Dilemma zwischen Verpflichtung gegenüber der Familie und gleichzeitig der Verpflichtung sich selbst gegenüber, ein eigenständiges Leben führen zu müssen und zu wollen, ist ein Drama, das von außen immer ein wenig theoretisch bleibt. Da ist es leicht zu denken, wenn einen die Familie so einschränkt, muss man sich von ihr trennen, damit man eigene Wege gehen kann. Aber im entscheidenden Fall ist das eben nicht so einfach. Es ist um so schwieriger, wenn eine Familie mit Migrationshintergrund wie die Sahins nicht komplett in der Gesellschaft angekommen ist. Man ist stärker aufeinander angewiesen und hat das Gefühl, etwas gemeinsam durchgestanden zu haben und durchstehen zu müssen. Die Verantwortung dafür, wie die eigene Gemeinschaft oder die Familie „von außen“ wahrgenommen wird, ist eine ganz große. Und wenn es dann um traditionelle Familienvorstellungen geht, wird es noch dramatischer, wenn das Bild, das nach außen transportiert wird, infrage gestellt wird. Vor allem den Frauen, die sich lösen wollen, ist augenscheinlich, dass sie Brüche für die Familie produzieren, für die sie sich auch mitverantwortlich fühlen.

Ich halte es im Übrigen auch für wichtig, dass die Problematik von Zwangsheirat und Ehen, die von den Eltern geplant werden, nicht schlicht zum Problem einer fremden Kultur erklärt wird. Natürlich hat das etwas mit einer „altertümlichen“ Auffassung von Familie zu tun, aber die gab es in unseren Breiten auch, solange die Gleichberechtigung von Frau und Mann missachtet wurde.

Mittlerweile hat sich ja glücklicherweise einiges getan, aber z. B. in den „Buddenbrooks“ geht man noch ganz selbstverständlich davon aus, dass die Tochter sich dem Familienwillen und dem des Vaters zu unterwerfen hat. Die heiratet dann unter diesem Druck einen Mann, den sie nicht leiden kann. Ich will das nicht gleichsetzen, aber arrangierte Ehe bis hin zum Ausüben von Zwang auf Töchter hat in unserem „christlichen“ Kulturkreis auch stattgefunden. Das hat vielleicht mehr mit einer starren Familienstruktur und Missachtung von Frauen(rechten) zu tun als mit anderen kulturellen Faktoren.

Lena Odenthal reagiert auf die Familie Sahin durchaus mit einer gewissen Schärfe. Habt Ihr Euch gemeinsam dafür entschieden?
Vor allem Önder gegenüber reagiert sie etwas schroffer, wobei sie aber eher aufnimmt, wie er sich verhält, nämlich abweisend, ablehnend und sich der Autorität der Polizei nicht unbedingt beugen wollend. Das haben wir schon sehr bewusst mit aufgenommen, dass Lena Odenthal sich klar abgrenzt bzw. nicht vor so einer gewissen machohaften Attitüde zurückweicht, sondern deutlich Position bezieht.

Während Becker und Frau Keller …
… leicht überfordert ...

… „gutmenschenmäßig“ reagieren?
Genau.

Beim „Tatort“ geht es natürlich darum, das Publikum zu fesseln und spannend zu unterhalten. Wie stellen Sie sich darüber hinaus Zuschauerreaktionen vor?
Man hofft, ein bisschen zur Differenzierung beizutragen und das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Pauschalurteile über eine andere Kultur und ihre Traditionen nicht funktionieren, und dass das Unbegreifliche solcher Verbrechen nicht von vornherein mit einer gesamten Community verbunden wird. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass wir uns innerhalb dieser Gesellschaft nicht von irgendwelchen Formulierungen zu Tradition, Religion oder Kultur blenden lassen und zulassen, dass man sich mit Hilfe dieser Begründung außerhalb unserer Gesellschaft platziert, wie das der LKA-Beamte Yilmaz in unserem Film ausdrückt. Das Grundgesetz bildet die Grundlage unserer Gesellschaft und dran muss sich jeder messen lassen. Dafür trägt jeder Verantwortung, der in ihr lebt.

SWR-Pressemappe